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Wie Frauen in der Sächsischen Schweiz eine Männerbastion erklimmen

Frauen eroberten auch die Männerwelt Bergsteigen. Es war ein langer und schwerer Weg für sie.

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Drei Generationen im Bild: Ellen Hoesch (1895), Else.Conrad und Emma Hartmann (1910/11) und Ilse Frischmann (1942).
Drei Generationen im Bild: Ellen Hoesch (1895), Else.Conrad und Emma Hartmann (1910/11) und Ilse Frischmann (1942). © privat

Von Joachim Schindler

Der bekannte Dresdner Berg-Fotograf Walter Hahn hat uns weit über 1.000 Kletterfotos hinterlassen, aber nicht eine einzige kletternde Frau fotografiert. In den Vereinssatzungen alpiner und touristischer Vereine im 19. Jahrhundert war eine Frauenmitgliedschaft nicht vorgesehen. Erst im 20. Jahrhundert, insbesondere mit den Naturfreunde-Organisationen, ist die Mitgliedschaft von Frauen schrittweise zur Normalität geworden.

Und so, wie sich die Bergsteiger-Geschichtsschreibung entwickelte, entstanden erste Berichte über das Klettern der Frauen, natürlich mit größeren Lücken und zeitweiligen Defiziten. Oftmals schien diese Thematik negativ besetzt, auch durch Sprüche wie „Die Frau des Bergsteigers Tod!“ oder ihre Darstellung als Witzfigur oder Karikatur. Nicht ganz ohne Grund, trugen doch die Frauen zu Beginn am Seil, auf Ski oder in den Bergen noch lange Röcke und breite Hüte, wie es historische Fotos zeigen.

1908: Olga Zöphel erklimmt die Barbarine.
1908: Olga Zöphel erklimmt die Barbarine. © privat

So war der Frauenanteil im frühen sächsischen Bergsteigen vom damaligen Frauen-Rollen-Verständnis dieser Zeit dominiert. Den gesellschaftlichen Platz der gehobenen Frau prägten die Wohnung, der Herd, die Kinderbetreuung sowie ihre Aktivitäten im Salon oder beim Kränzchen. Überhaupt ist der Weg in die Felsen und Berge um die Jahrhundertwende zumeist nur interessierten gutbetuchten Bildungsbürgerinnen möglich gewesen.

Bei jenen Frauen, die sich in den Felsen betätigten, handelte es sich um Ehefrauen sowie um ihre Emanzipation ringende oder studierte junge ledige Damen aus wohlhabenden Elternhäusern. Erst ab der Wende zum 20. Jahrhundert nahmen junge Kletterer ihre Freundin, ihre Braut oder ihre Ehefrau mit zum Klettern. So beteiligen sich Frauen bald auch an Erstbegehungen im heimischen Fels, wie erstmals 1904 die Dresdner Kaufmanns-Ehefrau Sidi Ansel am Großen Halben im Brandgebiet. Hinzu kam die Beteiligung an schwierigen Aufstiegen und auch selbständige Frauen-Vorstiege und eigenständige Frauenseilschaften sind feststellbar. Während des Ersten Weltkrieges wandelte sich zwangsläufig die Rolle und Selbständigkeit der Frau wesentlich durch den notwendigen Ersatz des Ehemannes in Haushalt und Beruf.

1910: Else Conrad und Emma Hartmann mit Wanderfreunden.
1910: Else Conrad und Emma Hartmann mit Wanderfreunden. © privat

Im Sächsischen Bergsteigerbund fanden seit Juni 1919 – nach Aufhebung eines Frauenverbots – fast umgehend 17 Frauen Aufnahme, erst ein Jahr danach führte die Alpenvereins-Sektion Dresden die Frauenmitgliedschaft ein. Frauen übernahmen zunehmend auch in Klubs, in Touristenvereinen und in Hüttenverwaltungen Verantwortung. Junge Frauen gehörten bald zu ebenbürtigen Kletterpartnern, die an der Durchsteigung schwieriger Kletterwege beteiligt waren.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Platz der Frau wieder zunehmend mit Haushalt und der Geburt möglichst vieler Kinder bestimmt. Trotzdem sind immer mehr junge Frauen mit im Elbsandsteingebirge beim Klettern unterwegs. Der Anteil der Mädchen und jungen Frauen an der Mitgliedschaft touristischer Organisationen und von Alpenvereinssektionen steigt weiter bis zu etwa einem Viertel oder Drittel an. Auf Grund der Einberufung zur Wehrmacht und Krieg trat in den Bergen und in den Gipfelbüchern der weibliche Anteil bei den verbliebenen Kletterern immer deutlicher hervor. In dem Alpenvereinszweig Wettin und in der Klettervereinigung des Zweiges Dresden waren zunehmend relativ selbständige Frauengruppen oder auch Frauenseilschaften aktiv. So beteiligten sich bis 1945 immerhin 29 Frauen an insgesamt 33 Erstbegehungen im Elbsandsteingebirge.

1926: Kletterin rastet an der Fluchtwand im Schmilkaer Gebiet.
1926: Kletterin rastet an der Fluchtwand im Schmilkaer Gebiet. © privat

Eine Ausstellung „Mit Liebe am Seil“ präsentierte beim kürzlich stattgefundenen Bergsichten-Festival in Dresden an die 40 kletternde Frauen aus dieser Frühzeit des sächsischen Bergsteigens in Wort und Bild. Aus der großen Fülle eindrucksvoller Geschehnisse seien drei besondere Frauen-Klettergeschichten herausgegriffen:

Im Blickpunkt des Klettergeschehens standen insbesondere die markanten Gipfel der Sächsischen Schweiz, allen voran die eindrucksvolle Barbarine. Mit der Dresdnerin Olga Zöphel erreichte am 12. Juli 1908, drei Jahre nach der Erstbesteigung, bei der 37. Besteigung erstmals eine Frau den heiß umkämpften Gipfel. Ein „Unbekannter“ – denn ein „Bergfreund“ wird es kaum gewesen sein – konnte das offensichtlich nur schwer verwinden und hinterließ einen frauenfeindlichen Spruch im überlieferten Gipfelbuch!

Außerordentlich vielseitige berg- und flugsportliche Leistungen vollbrachten die Meißner Schwestern Elisabeth und Margarete Große. Nicht nur, dass sie am 27. März 1910 in Dresden vom sächsischen König persönlich zu einem Ballonstart verabschiedet wurden, der als Weltrekordfahrt Anerkennung fand, erhielten sie 1926 nach ihrer bereits sechsten Besteigung des Montblanc ein Goldenes Ehrendiplom vom Präsidenten des französischen Alpinistenverbandes überreicht. Mit ihrem Erlebnisbuch „Frauen auf Ballon- und Bergfahrten“ haben sie ein bemerkenswertes Dokument ihrer bergsportlichen Vielseitigkeit hinterlassen.

1942: Ilse Frischmann in der Höllenhund-Südwand.
1942: Ilse Frischmann in der Höllenhund-Südwand. © privat

Unglaublich aber wahr ist das Schicksal der jungen Dresdnerin Ilse Frischmann. Weil sie Jüdin war, durfte sie neben vielen anderen ausgrenzenden Verboten kein Mitglied eines Kletterklubs oder einer touristischen Organisation im nationalsozialistischen Staat mehr werden. Junge sächsische Bergsteiger nahmen sie aber trotzdem gleichberechtigt in ihren Seilschaften auf, so dass sie zwischen ihrem 18. und 21. Lebensjahr, schwerste Kletterwege in der Sächsischen Schweiz, wie den Perry-Riss am Daxenstein oder den Rengerweg an der Amselspitze, klettern konnte. 

1942: Ilse Frischmann samt Seilschaft auf der Höllenhund-Südwand.
1942: Ilse Frischmann samt Seilschaft auf der Höllenhund-Südwand. © privat

Ein liebevoller Bergfreund unternahm gar unerlaubt eine Alpenfahrt in den Wilden Kaiser mit ihr, der sie bis auf den Gipfel des bekannten Totenkirchl führte. Nur einem verschwiegenen Arzt war es zu verdanken, dass ein Armbruch beim Skifahren im winterlichen Riesengebirge glimpflich für sie und ihre Freunde ausging. Als eine der wenigen Dresdnerinnen, konnte sie Auschwitz überleben. Wie sie selbst bestätigte, verdankte sie dies ihrem Lebenswillen und den besonderen Naturerfahrungen beim Bergsteigen.

Nach 1945 setzte im sächsischen Bergsteigen ein ungeahnter Aufschwung ein, der auch das Frauenbergsteigen einschloss.